Ausschnitt einer Historische Zeichnung von Greifswald im 19. Jahrhundert von Carl August Menzel
Ausschnitt einer Historische Zeichnung von Greifswald im 19. Jahrhundert von Carl August Peter Menzel © Stadtarchiv Greifswald

Fangenturm

Geschichtlicher Rückblick auf die Nutzung des Fangenturms als Sternwarte

Fangenturm
Fangenturm am Greifswalder Museumshafen© Sascha Meichsner
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Der Fangenturm am Greifswalder Museumshafen entstand vermutlich in den Jahren um 1270/1280. Seine erste urkundliche Erwähnung datiert auf das Jahr 1329, wo er als „turris captivorum“ (Turm der Gefangenen) bezeichnet wird. Aus dieser Bezeichnung entwickelte sich in der Folge die gebräuchliche Bezeichnung „Vangentorn“. [1]

Im 18. Jahrhundert war vorgesehen, den Fangenturm – der ursprünglich ein Teil der Stadtbefestigung war – als öffentliche Sternwarte der Stadt Greifswald und für die Universität zu nutzen. Die wissenschaftliche Astronomie begann in Greifswald mit der Berufung von Andreas Mayer [2], der seit 1741 an der Universität Greifswald als Professor für Mathematik und Astronomie lehrte. [3]

Für astronomische Beobachtungen war die Einrichtung einer Sternwarte erforderlich. Mit Unterstützung des Magistrats gelang es ihm, den Fangenturm, den letzten erhaltenen Festungsturm der Greifswalder Stadtmauer, zu einem Observatorium umzubauen. [2]

Lambert Heinrich Röhl, ein Schüler und Nachfolger im Amt Mayers, wurde 1775 zum ersten Direktor der Sternwarte ernannt und erhielt zugleich die erste Professur für Astronomie. Bereits im Jahr 1762 wurde ihm der Titel „Observator astronomicus“ zuerkannt. [4]

Im Jahr 1775 pachtete die Universität Greifswald den Turm für jährlich 1 Taler und 16 Schilling, um darin eine Sternwarte einzurichten. [1]

Bei Johann Carl Dähnerts Sammlung von Landurkunden können wir hierzu nachlesen das die: „Königl. Akademie den der Stadt zugehörigen am Schieß=Wall belegenen Pulver=Thurm, um selbigen zu einem astronomischen Observatorio zu gebrauchen, unter Vorbehalt des fortwährenden Eigenthumsrechtes an selbigem, dergestalt miethweise überlassen hat, daß abseiten der Königl. Akademie dafür in Termino Michaelis Ein Reichsthaler und sechzehn Schillinge an Miethe an die Stadt-Casse zu entrichten“. [5]

Nach einer Tabelle der Bundesbank zur Kaufkraft historischer deutscher Währungen könnte dies einen heutigen Wert von etwa 70 Euro betragen, auch wenn die Werte erst seit 1810 vorliegen. [7]

Die Universität Greifswald verpflichtete sich darüber hinaus, während der Mietdauer für die Instandhaltung und Renovierung des Turms zu sorgen. Am Rande sei ein kleiner amüsanter Fakt erwähnt: Das neu einzurichtende Observatorium durfte beim „Scheibenschießen am Schießwalle“ kein Hindernis darstellen. Dieser Beschluss wurde von der Stadt am 2. Januar 1775 gefasst. [5]

Der Fangenturm wurde schließlich am 9. Februar 1775 an die Universität Greifswald übergeben und anschließend zum Observatorium umgebaut und für Vorlesungen genutzt. [8]

Aus dem Nachlass des Heimatforschers Wilhelm Markmann (1850-1938) heißt es dazu: „Protokoll vom 9. Februar 1775 / Als der Thurm der Akademie zur Benutzung als Observatorium zeihtweise übergeben wurde. Der Thurm hat 80 Fuß im Umfang. Der Eingang ist von der süd-süd-westlichen Seite.“ [9]

Der Zinnenkranz in der Abbildung stellt allerdings ein historisierendes Gestaltungselement des 19. Jahrhunderts dar und war damals noch nicht vorhanden. [1]

Der Turm wurde um ein weiteres Stockwerk erhöht. In der ersten und zweiten Etage wurden die Fensteröffnungen angepasst, während das oberste Stockwerk mit einem Erker versehen wurde. An der nördlichen Seite erhielt der Turm zudem einen Holzanbau mit Treppenaufgang. [8]

Dazu heißt es bei Wilhelm Markmann aus einem Protokoll vom 7. September 1826:

„An der nordöstlichen Seite hat die Akademie einen Treppenanbau gemacht, 10 ½ Fuß lang, 14 Fuß breit. Die Höhe des Thurmes bis zur obersten Kante ist 60 Fuß, darauf noch 4 Fuß hohe Pfeiler, zwischen denen eine hölzerne Galerie ist.“ [9]

Am 21. Dezember 1775 wurde die Sternwarte schließlich feierlich eingeweiht. Dieses Ereignis würdigte der zeitgenössische Dichter und Theologe Theophilus Coelestinus Piper in seinem Gedicht „Auf die neue Sternwarte zu Greifswald“ [6], das zu Beginn die folgenden Zeilen enthält:

„Von jenen hellgestirnten Höhen Erblickt Urania den Sitz, für sie geweiht, Und fuhr zu uns hinab, ihr Heiligthum zu sehen. Bezaubernd prangt ihr Feyerkleid“ [10]

Die Inventarliste von 1777 enthält zahlreiche Instrumente; im Folgenden werden einige ausgewählte Beispiele genannt:

  • „Ein astronomischer Quadrant von Meßing auf einem starken Stativ von Eisen“
  • „Eine parallactische Maschine von braunem Holtz, von Brandern in Augsburg verfertiget“
  • „Eine Schwedische astronomische Pendeluhr von Sundberg in Stockholm“
  • „Ein ordinairer Tubus von 16 bis 17 Fuß“
  • „Zwo zusammengehörige Weltkugeln, etwa zwölf Zoll im Durchmeßer“

Im Jahr 1790 verstarb Lambert Heinrich Röhl und Andreas Hulten übernahm die Professur für Mathematik und Astronomie. Unter Hulten fanden jedoch keine Beobachtungen mehr statt. 1801 trat Andreas Bratt den Lehrstuhl für Mathematik und Physik an, während Hulten weiterhin für die Sternwarte verantwortlich blieb.

Während der französischen Besetzung Greifswalds im Jahr 1807 wurde der Fangenturm als Wache genutzt. Die Bücher des Observatoriums wurden an die Bibliothek übergeben und auch die astronomischen Instrumente wurden verlagert.

Trotz wiederholter Bestrebungen, den Turm erneut als Observatorium zu nutzen, war dieser inzwischen stark verfallen und es fehlten die notwendigen Instrumente. 1818 bat die Stadt Greifswald um die Rückgabe des Turms, woraufhin ein jahrelanger Streit zwischen Universität und Stadt entbrannte. Am 7. September 1826 wurde der Turm schließlich an die Stadt zurückgegeben. [8]

Prof. Fischer, der im Sommersemester 1826 Populäre Astronomie lehrte [11] brachte die astronomischen Instrumente in seine Amtswohnung.

1834 ließ Professor Grunert neue Geräte anschaffen und richtete an der Universität ein Zimmer für meteorologische Beobachtungen ein. [8]

Der Turm verfiel zunehmend und sollte 1868 ursprünglich vollständig abgerissen werden. Letztlich wurde jedoch nur das vierte Stockwerk abgetragen, und der Zinnenkranz wurde angelegt. Zwischen 1992 und 1994 erfolgte eine umfassende Sanierung des Turms, bei der auch der Treppenaufgang an der Südseite geschaffen wurde. [1]

Verfasserin: Jana Passehl (Greifswalder Sternwarte e.V.)

Quellen:

[1] Greifswalder Beiträge zu Stadtgeschichte Denkmalpflege Stadtsanierung - https://www.greifswald.de/de/.galleries/Amt-60-Stadtbauamt/Greifswalder-Beitraege/2010_JG4_Sonderheft.pdf

[2] Eine Biographie: Professor Andreas Mayer (1715-1782) : Mathematiker, Physiker, Astronom und Baumeister zugleich / von Joachim Buhrow

[3] Andreas Mayer - Mathematik, Astronomie und Kartographie https://www.bbaw.de/die-akademie/akademie-historische-aspekte/mitglieder-historisch/ historisches-mitglied-andreas-mayer-1772

[4] Das steinerne Antlitz der Alma mater : die Bauten der Universität Greifswald 1456 – 2006 / hrsg. von Michael Lissok und Bernfried Lichtnau

[5] Sammlung gemeiner und besonderer Pommerscher und Rügischer Landes-Urkunden Gesetze, Privilegien, Verträge, Constitutionen und Ordnungen – Johann Carl Dähnert https://www.digitale-bibliothek-mv.de/viewer/image/PPN788366548/153/#topDocAnchor 

[6] Rede von Prof. Dr. Friedrich Krüger zur Einweihung der Sternwarte im Alten Physikalischen Insitut 1924 – erschienen in „Mitteilungen an die Mitglieder für das Jahr 1924“ der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität Greifswald – Universitätsarchiv Greifswald (Signatur K 100)

[7] Purchasing power equivalents of historical amounts in German currencies - https://www.bundesbank.de/resource/blob/622372/e515a558ece93cc816671b73dd4f8929/472 B63F073F071307366337C94F8C870/kaufkraftaequivalente-historischer-betraege-indeutschen-waehrungen-data.pdf

[8] Astronomische Forschungstätigkeit an der Universität Greifswald von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts / Katrin Löffler

[9] Akte Stadtarchiv Greifswald - Rep. 59 Markmann B3

[10] Piper,Theophilus Cälestinus: Vermischte Gedichte , 1779 - https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht? PPN=PPN738524085&PHYSID=PHYS_0112&DMDID=DMDLOG_0003 

[11] Verzeichniss der Vorlesungen, welche auf der Königl. Universität zu Greifswald im Sommerhalbenjahre 1826 gehalten werden sollen. (1826) - https://www.digitale-bibliothek-mv.de/viewer/image/PPN670499994_SH_1826/3/LOG_0010/